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Heinrich Bohnhoff
Heinrich Bohnhoff
geb. 01.03.1902 Gülzow/Mecklenburg
Tod am 21.05.1943 Westerland
Heinrich Bohnhoff wird 1902 in Gülzow geboren und gehört zu den rund 1.500 Arbeitern, die ab 1923 auf der damals größten Baustelle Europas beschäftig sind: Der Bau des Eisenbahndamms, der ab 1927 die Insel Sylt mit dem Festland verbindet, zieht viele Männer in den hohen Norden, denn in Anbetracht der damaligen hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland sind 50 Pfennig Stundenlohn besser als nichts.
Bohnhoff wird auf Sylt bleiben und später bei den Westerländer Stadtwerken beschäftigt sein. Aus zwei Ehen, seine erste Frau verstarb früh, stammen neun Kinder.
Er ist politisch engagiert und Mitglied bei der KPD. Kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten werden reichsweit kommunistische und sozialdemokratische Zeitungen verboten. Als es im April 1933 in Westerland zu Hausdurchsuchungen kommt, finden sich in Bohnhoffs Wohnung verbotene Ausgaben eines KPD Blattes, Heinrich Bohnhoff wird wegen Agitation inhaftiert.
Zwei Jahre später findet man seinen Namen im Konzentrationslager Fuhlsbüttel.
Später muss Bohnhoff entlassen worden sein, ist nach Sylt zurückgekehrt und hielt sich vor der Gestapo versteckt.
Am 21. Mai 1943 wird die erhängte Leiche von Bohnhoff entdeckt, einige Quellen sprechen davon, dass er im Friedrichshain gefunden wurde, andere verorten den Toten im Schrebergarten der Familie. Ebenso ungeklärt ist, ob es ein freiwilliger Suizid war.
An der Stelle, wo das Haus der Familie Bohnhoff stand und sein Stolperstein liegt, befindet sich heute ein Pflegheim der Johanniter.
Ludwig Borstelmann
Ludwig Borstelmann
geb. 21.06.1888 Wakendorf II
ermordet 09.10.1942 Groß-Rosen
Am 15. Oktober 1941 verließ Ludwig Borstelmann, begleitet von seinem ältesten Sohn Willi, sein Haus, um einer Vorladung der Westerländer Gestapo zu folgen, die ihn des „Vergehens gegen das Heimtückegesetz“ und Verweigerung des Hitlergrußes beschuldigte. Ludwig Borstelmann kam nie wieder nach Hause. Nach einigen Tagen Inhaftierung in einer Westerländer Gestapo-Zelle wurde er zu seinem Prozess in das Flensburger Gefängnis gebracht, wo ihn seine Frau und sein 14-jähriger Sohn Willi noch einmal besuchen konnten. Ludwig Borstelmann sollte seine Insel Sylt nie wieder sehen.
Ludwig Borstelmann (1888–1942)
15 Jahre lang hatte er seit seiner Eheschließung mit Sophie Thomsen in deren Elternhaus in Keitum gelebt. Gemeinsam mit ihr bewirtschaftete er die zugehörige Landwirtschaft. Das war für ihn, der erfolgreich eine Ausbildung zum Kaufmann absolviert hatte, ungewöhnlich. Gleichzeitig übernahm er auch die Leitung der kleinen Keitumer Spar- und Darlehenskasse, die hier in diesem Haus ihr Büro hatte. Nach der Geburt der Söhne Wilhelm und Hans hatte Ludwig Borstelmann, der als junger Mann einige Jahre in Argentinien gelebt hatte, in Keitum sein Zuhause gefunden. Weltoffen, konservativ und mit einem starken Gerechtigkeitsempfinden protestierte er gegen die massive und gesetzwidrige Ungleichbehandlung bei der Flurbereinigung des Nössekoogs, auf dem auch seine Familie einige Flächen besaß. Besonders prangerte er dabei die Selbstbereicherung einiger Sylter Nazi-Größen an. Außerdem hatte er in seiner Sparkassenfiliale den Hitler-Gruß verweigert, woraufhin ihn eine Kundin denunzierte. Das Flensburger Gericht kam aber nicht umhin, Ludwig Borstelmann am 29. April 1942 freizusprechen. Doch direkt nach seinem Freispruch wurde er noch im Gerichtsgebäude von der Gestapo festgenommen und ins Konzentrationslager Buchenwald/Weimar gebracht. Von da kam er ins Konzentrationslager Groß Rosen in Schlesien, wo er im Oktober 1942, vierundfünfzig Jahre alt, durch brutale Schufterei in einem Steinbruch, bei mangelnder Ernährung, ungenügender Bekleidung in Kälte und Nässe gemäß der Maxime „Vernichtung durch Arbeit“ ermordet wurde.
Eine Urne mit der Asche von Ludwig Borstelmann wurde vom Konzentrationslager nach Keitum geschickt und auf dem Friedhof bestattet. Für seine Frau und die beiden Söhne begann eine Zeit harter Arbeit und Entbehrungen. Und es gab Fragen: Wer hatte Ludwig Borstelmann bei der Gestapo denunziert? Und warum? Wer wollte sich bei den lokalen Nazi-Größen beliebt machen? Woher der mörderische Hass gegen einen Mann, der – wo andere schwiegen – auf seinem Recht und auf Gerechtigkeit bestand?
In einem früheren Prozess gegen Ludwig Borstelmann wegen Beleidigung ist aus der Anklageschrift des Oberstaatsanwalts Flensburg vom 15. Juni 1939 zu lesen: „Nach dem Gesamtverhalten des Angeschuldigten, der sich weder im Weltkrieg noch später aktiv für Staat und Bewegung eingesetzt hat, muss man zu der Überzeugung gelangen, dass er ein gewissenloser Ehrabschneider und Unruhestifter ist.“
Text: Ulrich Hentschel
Weitere Informationen:
Lebensspuren eines Schutzhäftlings, Das Schicksal Ludwig Borstelmanns, mitgeteilt von Sönnich Volquardsen, Nordfriesisches Jahrbuch 1998, S. 24
„Achtet darauf…“ – ist der Titel einer DVD, in der Willi Borstelmann sehr persönlich an das Leben und den gewaltsamen Tod seines Vaters erinnert und sein beharrliches Engagement gegen die Verharmlosung der Naziverbrechen begründet. Die DVD ist im Sylt Museum in Keitum erhältlich.
Kurt Brüggen
Kurt Bernhard Brüggen
geb. 11.03.1910 Westerland
hingerichtet am 18.09.1944 Berlin
Kurt Brüggen wird am 11. März 1910 in Westerland/Sylt geboren. Er wächst mit seinen drei Brüdern und der größeren Schwester behütet auf. Auch der Erste Weltkrieg bringt für die Familie keine größeren Entbehrungen. Brüggen besucht acht Jahre lang die Volksschule in Westerland. Anschließend macht er eine Ausbildung zum Koch im Hotel Esplanade in Hamburg. 1928 geht er nach Berlin und arbeitet später u. a. in der Kantine im Haus des Reichsrundfunks in Berlin.
1934 heiratet Brüggen in Berlin. Die bald darauf geborene Tochter stirbt bei einem Autounfall, an diesem Schicksalsschlag zerbricht die Ehe. 1943 heiratet Kurt Brüggen erneut und wird wieder Vater einer Tochter.
Kurt Bernhard Brüggen (1910–1944)
Durch einen Vorfall im Sommer 1943 nimmt das Leben von Kurt Brüggen und seiner Familie einen jähen Verlauf: in der Küche der Kantine des Reichsrundfunks wird ein „Gedicht“ vorgelesen und Brüggen wird gebeten, es vervielfältigen zu lassen. Er selbst bringt, wie seine Frau später berichten wird, kein Exemplar mit nach Hause. Er erzählt seiner Frau auch nichts von dem Gedicht und dem Geschehen. Es ist ihm offensichtlich nicht wichtig, zumal es sein letzter Arbeitstag ist und er sich auf den bevorstehenden Urlaub auf Sylt freut.
Über das Gedicht ist nie mehr gesprochen worden. Erst als Kurt Brüggen für den 20. Oktober 1943 zur Gestapo einbestellt wird, erinnert er sich wieder. Während der Befragung gibt er ausführlich Auskunft über die Situation in der Küche und die beteiligten Personen. An den Inhalt des Gedichts kann er sich nicht mehr erinnern, er habe es nur flüchtig gelesen. Mit der Vervielfältigung des Gedichts habe er der Kollegin nur einen Gefallen tun wollen. Die politische Brisanz des Vorfalls und seine Tragweite waren Kurt Brüggen, wie er betont, nicht bewusst. Das Protokoll der Vernehmung unterschreibt er und heute ist bekannt, dass er in Haft genommen worden wäre, wenn das Polizeigefängnis nicht durch einen Luftangriff beschädigt worden wäre.
Kurt Brüggen wird später, am 3. Juli 1944, vom Volksgerichtshof vorgeladen. Er und seine Kollegen werden angeklagt „im Jahre 1943 in Berlin ein gehässiges politisches ,Hetz-Gedichts‘ verbreitet und dadurch den Willen des Volkes zur wahrhaften Selbstbehauptung zu lähmen und zu zersetzen gesucht und den Kriegsfeinden des Reiches geholfen zu haben.“ Dabei handele es sich um Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung. Verhandlungstermin wird auf den 17. Juli 1944 um 9.00 Uhr festgelegt. Zusammen mit seiner Frau geht er ohne größere Ängste und Bedenken zum Termin vor dem Volksgerichtshof. Dass das Ehepaar die Tragweite nicht erkannte, zeigt sich auch darin, dass sie keinen Rechtsanwalt beanspruchten. Brüggen lässt sich, wie die meisten der Mitangeklagten, von einem Pflichtverteidiger vertreten. Dieser macht dem Ehepaar Hoffnung auf eine milde Strafe, die er auch beantragte. Dem Gericht sitzt der gefürchtete Präsident des Volksgerichtshof Dr. Roland Freisler vor. Der Präsident folgt der Beurteilung des Oberreichsanwalts nicht und bewertete das Verlesen und Verteilen des „Hetz-Gedichts“ als „Vorbereitung zum Hochverrat“ und fällte harte Urteile: Kurt Brüggen und drei Kollegen werden zum Tode verurteilt.
Die Schuldig gesprochenen werden noch im Gerichtssaal verhaftet und einen Tag später in das Zuchthaus Brandenburg-Görden überstellt. Besuchsanträge und Gnadengesuche werden abgelehnt, am 18. September wird Kurt Brüggen mit dem Fallbeil hingerichtet.
Seit 2009 erinnert ein Stolperstein vor seinem Elternhaus in der Kjeirstraße 12 in Westerland an ihn, Kurt Brüggen ist der einziger Sylter, der vor dem Volksgerichtshof angeklagt wurde.
Das Bundesarchiv in Berlin verwahrt das Urteil des Volksgerichtshofs zu Kurt Brüggen vom 17. Juli 1944, Az. 4 J 77/44
Bothilde Callesen
Bothilde Callesen
geb. 21.11.1870 in Keitum
ermordet am 02.10.1944 in Meseritz-Obrawalde
Bothilde Callesen, die 1870 in Keitum auf Sylt zu Welt kommt, wurde selbst früh Mutter. Sie schenkt neun Kindern das Leben, die in Braderup und Munkmarsch auf Sylt groß werden.
Im Oktober 1944 wird sie mit 73 Jahren in Meseritz-Obrawalde ermordet, in einer 1904 errichteten Heil- und Pflegeanstalt, ab 1942 ein Ort der »Euthanasie«-Verbrechen. Hier töteten Ärzte und Ärztinnen und Pflegepersonal systematisch tausende psychisch Kranke.
Bothilde Callesen (1870–1944)
Wenn Bothilde Callesen, das widerfahren ist, was den meisten Patienten hier widerfuhr, dann ist sie an ihrem Todestag von einer Schwester zur Station 6 gebracht worden. Man hat ihr entweder Morphium oder Scopolamin in den Oberschenkel gespritzt, damit die Atmung aussetzt, oder man hat ihr drei Esslöffel Veronal in einem Glas Wasser verabreicht. Manche Patienten hat man auch einfach verhungern lassen oder Ihnen Luft gespritzt.
Wie konnte es dazu kommen? Bothilde lebte nach dem Tod ihres Mannes Jens Niels Callesen (1863 bis 1934), der die Familie durch Seefahrt und die Austernfischerei bescheiden ernähren konnte, zum Schluss mit ihrem jüngsten Sohn in Munkmarsch zusammen. Er erbte das Haus und damit sozusagen auch seine Mutter, um die er sich kümmerte.
Das Zusammenleben mit Sohn, Schwiegertochter und Enkelkindern scheint nicht immer leicht gewesen zu sein. Als Bothilde – vermutlich an einer Form von Demenz – erkrankt, wird das Familienleben zunehmend schwieriger, und eine der Töchter bietet sich an, die Mutter bei sich im Haus zu versorgen. Aber auch sie ist der Situation bald nicht mehr gewachsen, so dass entschieden wird, die Mutter in die Landesheilanstalt nach Schleswig zu überführen. Ein Entschluss dessen Konsequenzen niemand vorhersehen konnte.
Mittlerweile ist bekannt, dass die einstige sogenannte Irrenanstalt in Schleswig bereits früh der nationalsozialistischen Idee folgte. Dann, im Spätsommer 1944, ändern sich die Verhältnisse in der Anstalt schlagartig.
Die Kieler Uniklinik wird ausgebombt und man benötigt nun Platz für deren Patienten. So müssen die „Irren von Schleswig“ Platz machen. Am 14. September 1944 werden früh morgens die Patienten und Patientinnen der Landesheilanstalt in Richtung Bahnhof geführt – einmal quer durch die Stadt. Eine davon war Bothilde Callesen. Viele Schleswiger hörten das Geklapper der Holzpantinen, die die Patienten trugen, manch ein Anwohner wurde von dem ungewöhnlichen Geräusch geweckt. Am Bahnhof warten die Züge, die die 280 Frauen und 425 Männern zur Landeskrankenanstalt Meseritz-Obrawalde in der preußischen Provinz Posen transportieren.
Nur knapp drei Wochen nach der Überführung in die Krankenanstalt Meseritz-Obrawalde, lebt Bothilde Callesen nicht mehr. Die meisten Opfer wurden in Massengräbern auf dem über 100 ha großen Gelände verscharrt.
Am 4. Oktober 1944, erreicht die Familie in Westerland ein Telegramm, dessen beschönigender Text zynisch klingt: „BOTHILDE CALLESEN ENTSCHLAFEN – BEERDIGUNG DONNERSTAG VORMITTAG – ÜBERFÜHRUNG GESPAERRT – EINÄSCHERUNG NICHT MÖGLICH – KOMMEN WEGEN REISEEINSCHRAENKUNGEN UNTERLASSE – BRI FOLGT – LANDESKRANKENANSTALTEN MESERITZ OBRAWALDE“
2009 wurde in Munkmarsch ein Stolperstein für Bothilde Callesen verlegt.
Bremen, Silke von: „Sie ist beherrscht von Ihren krankhaften Ideen“
In: Jahresbericht der Sölring Foriining e.V., 2019, S. 94-99.
Diedrich Cornelius Diedrichsen
Diedrich Cornelius Diedrichsen
geb. 11.07.1884 in Wenningstedt
ermordet 24.09.1944 in Meseritz-Obrawalde
Diedrich Cornelius Diedrichsen entstammt einer der beiden alteingesessenen Bauernfamilien im Listland, die ihr Auskommen in der Schafzucht hatten. Sein Vater Niels Diedrichsen stammt aus Wenningstedt und war Malermeister. Er heiratet Bothilde Friede vom Lister Osthof und wird Landwirt, Strandvogt und Postagent.
Diedrich Cornelius Diedrichsen verlebt seine ersten Lebensjahre mit drei jüngeren Geschwistern. Seine glückliche Kindheit findet ein jähes Ende, als diese drei im Winter 1888/89 an Diphterie erkranken und kurz nacheinander sterben. Auch seine Großmutter Inken Friede erliegt der Diphterie, für den sensiblen Diedrich ein einschneidendes Erleben.
Diedrich Cornelius Diedrichsen (1884–1944)
Diedrichsen besucht die einklassige Dorfschule von Lehrer Heinrich Helliesen, dem der Zeichenunterricht am Herzen liegt. Geprägt wird Diedrich auch durch die Gäste seiner Eltern, die ein offenes Haus führen und Künstlern zugetan sind. Maler und Schriftsteller suchen die Abgeschiedenheit des Listlands und wissen die Familie Diedrichsen als Gastgeber zu schätzen, die sogar für einen der Maler eigens in der Abgeschiedenheit eine Hütte errichtet. Gerhard Hauptmann ist von Diedrichs Schwester Inken und den Gesprächen mit ihr so angetan, dass sie als Gärtnertochter Inken Peters in seinem Roman „Vor Sonnenuntergang“ in die Literatur eingeht.
Diedrichsen ist geistig interessiert, ja gebildet. Er spielt Geige und liest viel, nicht nur deutsche Klassiker, sondern unter anderem auch Homer, Dante und Shakespeare. Als er vermutlich 1899 von einem in List weilenden Künstler einen Malkasten geschenkt bekommt, entsteht sein erstes Ölbild, ein angekettetes Wrack. So liegt es nicht fern, dass er nach der Konfirmation 1900 in Hamburg eine vierjährige Lithographen-Lehre beginnt. Im November 1904 schließt sich ein Besuch der Kunstakademie in Weimar an. Denkbar ist, dass der Tinnumer Maler Andreas Dirks, der die Akademie in Weimar besucht hatte, zu diesem Schritt riet.
Schon bald findet Diedrichsen große Anerkennung bei seinen Lehrern. Im Juni 1905 schreibt Hans Olde, der Leiter der Akademie, dem Vater Diedrichsen, die Fortschritte seines Sohnes seien dem Kollegium bei der Jahresausstellung so positiv aufgefallen, dass er die höchste Auszeichnung in Form einer Belobigung und eines Diploms erhalten habe. Er entwickle sich so positiv, dass er Aussicht auf späteren Erfolg habe und auch für ein erleichtertes Examen vorgeschlagen werde.
Im Sommer 1905 und 1906 malt Diedrichsen auf Sylt, er hatte auch andere Schüler der Weimarer Akademie dazu animiert, so zum Beispiel Carl Arp und Ivo Hauptmann, den Sohn von Gerhard Hauptmann. Landschaftsbilder von Diedrichsen werden in Weimar ausgestellt.
Ende 1906 verlässt Diedrichsen Weimar und kehrt in sein Elternhaus zurück. Ab Mai 1907 arbeitet er in der Lithographischen Kunstanstalt in Karlsruhe. Als 1908 eine psychische Erkrankung ausbricht, kehrt Diedrichsen wiederum nach List zurück.
Etwa seit 1924 lebt Diedrichsen in der Heilanstalt Schleswig und kommt nur zu gelegentlichen Besuchen nach Hause. Zusammen mit mehr als 700 Patienten wird Diedrichsen am 14. September 1944 in die Landeskrankenanstalt Meseritz-Obrawalde deportiert. Nach zwei Wochen Aufenthalt in dieser großen Tötungsanstalt für Geisteskranke wird seiner Familie mitgeteilt, er sei „infolge Erschöpfung entschlafen“.
Blumenberg-Lampe, Christine: Stolpersteine – Diedrich Cornelius Diedrichsen. In: Jahresbericht der Sölring Foriining e.V., 2017, S.40f.
Nikolaus Ehlers
Nikolaus Ehlers
geb. 24.09.1907 Westerland
Tod am 27.12.1958 Eckernförde
Nikolaus Ehlers wird am 24. September 1907 in Westerland auf Sylt geboren und wächst mit neun Geschwistern in einer kinderreichen Familie auf.
Nach der Schule beginnt er bei der örtlichen Post zu arbeiten. Im Jahre 1931 wird er Mitglied in der SPD. Als die Nationalsozialisten Anfang 1933 an die Macht kommen, wird er aufgrund seines politischen Engagements aus dem Postdienst entlassen.
Nikolaus Ehlers (1907–1958)
Antifaschistische Äußerungen sollen der Grund dafür gewesen sein, dass er denunziert und 1942 in das KZ Sachsenhausen überstellt wird. Seine Tochter berichtet, dass er sich aufgrund seiner dänischen Sprachkenntnisse beim Internationalen Roten Kreuz („Rettungsaktion der Weißen Busse“) als Däne ausgeben konnte. So überlebte er die KZ-Haft nur knapp, bei seiner Befreiung wog er unter 50 Kilogramm.
Ehlers lebt nach dem Krieg zunächst in Dänemark, betreut hier deutsche Flüchtlinge im Lager Oksbøl und heiratet zum zweiten Mal. 1949 kehrt die Familie auf die Insel zurück, wo Nico Ehlers wieder als Postsekretär arbeitet und sich erneut in der SPD engagiert. Er wird Kreisvorsitzender, Fraktionsvorsitzender und Stadtrat in Westerland.
Als 1957/58 an die Öffentlichkeit kommt, welche Kriegsverbrechen der amtierende Bürgermeister Heinz Reinefarth (1903 bis 1979) zu verantworten hat, verlangt Ehlers von seiner Partei Position zu beziehen, was ihm aber verweigert wird. Daraufhin legt er alle Ämter nieder.
Im Rahmen seiner neuen Arbeitsstelle verunglückt er bei einem Autounfall und stirbt an den Folgen am zweiten Weihnachtstag 1958.
Max Feddersen
Max Feddersen
geb. 02.08.1900 Tinnum
Tod 03.05.1945 auf der Cap Arkona
Max Feddersen wird in Tinnum als ältester Sohn eines Landmanns geboren. Er wächst mit vier Brüdern und vier Schwestern auf und ist ein aufgeweckter, kluger Junge: Feddersens Freude am Lernen führt dazu, dass er eine Klasse in der Tinnumer Volksschule überspringen kann. Warum sein Vater, der, wie Familienbilder zeigen, kein armer Mann war, seinen Sohn weder in die Mittelschule schickte, die es damals schon auf der Insel gab, noch eine Ausbildung machen ließ, ist nicht bekannt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Kriegsjahre und die Nachkriegswirren eine Rolle gespielt haben.
Max Feddersen (1900–1945)
Max Feddersen nimmt noch am Ersten Weltkrieg teil und arbeitet nach dem Krieg bei der Sylter Kleinbahn. Der tüchtige und beliebte Max Feddersen hat sich bald zu einem geschätzten Mitarbeiter im Büro der Inselbahn hochgearbeitet. Dadurch gelingt es ihm 1930 aus einer Zwangsversteigerung für 10.000 RM das Haus Am Seedeich 1 in Westerland zu kaufen, wo er mit Frau und drei Kindern zunächst unbeschwerte Jahre verlebt. Fünf seiner Geschwister lebten mit ihren Familien ebenfalls auf der Insel und unterstützten sich gegenseitig.
Feddersen ist SPD-Mitglied und rückt nach der Kommunalwahl vom 12. März 1933 in die Stadtvertretung nach. Näheres über seine Mitgliedschaft und Funktionen in der SPD ist nicht bekannt. Aber seine Tochter erinnert, dass ganz unten im Kleiderschrank der Mutter Vaters SPD-Hemd lag.
Da die Sylter Inselbahn auch für die Versorgung der Truppen auf der Insel zuständig und damit kriegswichtig ist, wird Feddersen nicht eingezogen. Am 22. August 1944 wird er im Zuge der sogenannten „Aktion Gewitter“ mit sechs anderen Syltern verhaftet. Seine SPD-Zugehörigkeit und seine kurze Tätigkeit als SPD-Stadtverordneter bilden die Gründe für seine Verhaftung. Feddersens Verhaftung findet auf seiner Dienststelle statt. Zunächst wird er nach Hause begleitet, wo seine Frau die Schulterstücke der Dienstjacke entfernen muss. Dann nimmt die Gestapo Feddersen in Polizeigewahrsam. Zusammen mit den sechs anderen Verhafteten wird Feddersen nach Kiel und von dort ins KZ Neuengamme verbracht. Wöchentlich trifft von dort ein Brief von ihm ein. Er freut sich auf das Kind, das seine Frau erwartet, und ist voller Hoffnung, Weihnachten wieder zu Hause zu sein.
Im April 1945 beginnt die Auflösung des KZ Neuengamme, da die britischen Truppen immer näher rücken. Die Häftlinge werden ab dem 20. April nach Lübeck gebracht und dort auf Schiffe verladen. Die Westerländer, Max Feddersen, Karl Jessen und Carl Quaas, kommen auf das Schiff „Cap Arkona“. Feddersen und Quaas gelingt es zusammen zu bleiben. Eine Tragödie sorgt für den Tod von über 4.500 Häftlingen. Britische Jagdbomber griffen unter anderem die Cap Arcona an und versenkten das Schiff in der Annahme, deutsche Truppenverbände befänden sich an Bord der nicht gekennzeichneten Schiffe. Die Briten wollten dadurch die Absetzbewegung deutscher Truppen verhindern. Ein fataler Fehler, wie sich im Nachgang herausstellte und der bis heute nicht gerichtlich aufgearbeitet wurde.
Ein Augenzeuge will nach dem Beschuss Max Feddersen noch auf dem Oberdeck gesehen haben. Da er wie auch Carl Quaas nicht schwimmen konnte, dürfte er beim Untergang der Cap Arcona ertrunken sein. Sein Leichnam trieb am 18. Juli 1945 am Brodtener Ufer an. Anhand seiner KZ-Nr. 43290 und seiner Kleidung konnte er identifiziert werden. Er fand vermutlich in einem Massengrab seine letzte Ruhe, obwohl seine Frau sich intensiv darum bemüht hatte, ihn auf der Insel bestatten zu dürfen.
Nicht nur die Gedenktafel im Westerländer Rathaus erinnert seit Mai 2005 an Max Feddersen. Seit August 2009 liegt der Stolperstein für ihn vor seinem Haus Am Seedeich 1 und gemahnt an sein und seiner Familie Schicksal.
Den Ehering und seine Taschenuhr musste Max Feddersen 1944 bei seiner Einlieferung in Neuengamme abliefern. Beides bekamen seine Familie 2018 zurück. Gleichzeitig erhielt sie Gewissheit, dass Max Feddersen seine SPD-Mitgliedschaft zum Verhängnis geworden war.
Dr. jur. Martin Frommhold
Dr. jur. Martin Frommhold
geb. 20.06.1880 Dörnthal (Sachsen)
Suizid am 10.04.1933 Hannover
Der promovierte Jurist Martin Frommhold lebte von 1908 bis 1915 mit seiner Frau Margarete (1884) und seinen zwei Kindern Wolfgang (1909) und Ruth (1912) in Westerland. Dort wird er in das Amt des Bürgermeisters der Stadt Westerland gewählt, bevor er ab 1915 bis 1925 Bürgermeister der Stadt Stade wurde. Vor seiner Sylter Zeit arbeitete er von 1903 bis 1908 bei der Stadt Leipzig.
Ein wesentliches Ergebnis aus dem Wirken der Sylter Zeit von Frommhold lässt sich in dem notwendigen Ausbau der Infrastruktur sowohl für die Inselbewohner als auch für die Touristen aufzeigen.
Er arbeitete und wohnte mit seiner Familie im Westerländer Rathaus, das sich zwischen 1908 und 1933 im ehemaligen Hotel Royal in der damaligen Puttkamerstraße befand und 1955 abgerissen wurde. Leider wurden die Stolpersteine Frommhold an der falschen Stelle verlegt, das Hotel Royal befand sich eine Straße weiter südlich, an der Einfahrt zum Syltness Center.
Im Jahre 1915 zog Frommhold nach Stade und engagierte sich hier als Vorsitzender des Stader Geschichts- und Heimatvereins. Ebenso war er Kreistagsabgeordneter des Kreises Stade im Provinziallandtag Hannover. Für seine Verdienste ehrte ihn die Stadt 1928 mit der Benennung der Frommholdstraße. Diese wurde durch die Nationalsozialisten 1933 umbenannt und 1945 wieder rückbenannt.
Sein politisches Engagement findet sich in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Er vertrat als DDP-Politiker die Stadt Stade im Landtag der preußischen Provinz Hannover. 1925 wechselte Frommhold mit seiner Familie nach Hannover und wurde Vorstand der Landesversicherungsanstalt Hannover.
Frommhold lässt sich zu den erklärten Gegnern der Nationalsozialisten zählen und setzte sich auch in seinem politischen Amt im Provinziallandtag mehrfach gegen weitere Gewinne der NSDAP ein.
Am 8. November 1930 richtete Frommhold mit seiner Ortsgruppe den reichsweiten Parteitag in Hannover aus. Im November 1932 grenzte er sich als Fraktionsführer programmatisch von der NSDAP ab. Seine politische Richtung verfasste er mit dem Titel „Wir wollen kein Hitlerpreußen“. Er sah die Gefahr, dass nach dem sogenannten „Preußenschlag“ – in dem Reichspräsident Paul von Hindenburg am 20. Juli 1932 die letzte wesentliche Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten in der Weimarer Republik per Notverordnung beendete – ein Reichskanzler Hitler nicht nur die Regierung im Reich, sondern auch die Macht in Preußen übernehmen würde.
Aufgrund seines politischen Engagements wurde Frommhold immer stärker von den Nationalsozialisten bedroht. Außerdem wurde gegen ihn eine Pressekampagne wegen angeblicher Verfehlungen im Amte und des Missbrauchs öffentlicher Gelder geführt.
Am 28. März 1933 verfasste er einen Abschiedsbrief an seine Familie, in dem er beklagte, dass die Umwälzungen der Zeit dafür sorgen könnten, dass schnell und plötzlich die Notwendigkeit eintreten könne, dass er sich von seiner Familie trennen müsse. Er erläutert diesen Schritt damit, dass er mit seinem Suizid seiner Familie die Lebensmöglichkeit erleichtern würde und verabschiedet sich „In tiefster Seelennot“.
Am 10. April 1933 erschoss sich Frommhold in seinem Büro der Landesversicherungsanstalt und hinterließ seine Frau und drei Kinder. Seit 2018, bzw. 2019 erinnern am ehemaligen Wohnort der Familie Frommhold in der Kirchröder Straße, jeweils ein Stolperstein an Martin Frommhold und seinen Sohn Wolfgang.
Martin Frommhold wird in Hannover zu den wenigen „liberalen Exponenten bürgerlicher Verweigerung gegen den Nationalsozialismus“ gezählt.
Wolfgang Frommhold
Wolfgang Frommhold
geb. 15.06.1909 Westerland
Tod am 10.01.1942 Sorau (Lausitz)
Wolfgang Frommhold wurde 1909 als ältester Sohn des Westerländer Bürgermeister (1908 bis 1915) Dr. Martin Frommhold und seiner Frau Margarete Birkner in Westerland geboren.
Zeitlebens kämpfte Frommhold mit Taubheit und epileptischen Anfällen, so dass er von seinen Eltern am 17. Mai 1923 in die Obhut des „Asyl für Epileptische und Idioten“ innerhalb der Diakonissenanstalt Rotenburg übergeben wurde.
Die Familie Frommhold wohnte noch bis 1925 in Stade, wo Dr. Martin Frommhold seit 1915 das Amt des Bürgermeisters ausführte und zeitweise als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei im Landtag der preußischen Provinz Hannover saß. 1925 wechselte die Familie nach Hannover und sorgte sich von dort aus um ihren Sohn Wolfgang bzw. holten ihn tageweise nach Hannover.
Wolfgang Frommhold entging den ersten Deportationen 1940 und 1941, die das Ziel der Massenermordungen von Patienten aus psychiatrischen und Heilanstalten für kranke und behinderte Menschen vorsahen. Als die Rotenburger Anstalt Ende September für eine Reservelazarett geräumt werden musste, wurde Frommhold am 30. September 1941 in die Anstalt Sorau (Lausitz) verlegt und wurde Opfer der sogenannten „regionalisierten Euthanasie“ im NS-Regime. Am 18. Januar 1942 schrieb der Anstaltsdirektor Pastor Buhrfeind an die Mutter Margarete Frommhold, dass ihr Sohn „ohne Schmerzen eingeschlafen“ sei. Der Todestag ist durch die Anstalt auf den 10. Januar datiert. In den Unterlagen wird sein Tod durch einen „Furunkel am Rücken“ angegeben.
Weitere Informationen einzusehen unter: Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V. (https://netzwerk-erinnerungundzukunft.de)
Hermann Meinert Hansen
Hermann Meinert Hansen
geb. 29.07.1907 Westerland
Tod am 08.01.1942 Oranienburg
Hermann Meinert Hansen kommt am 29. Juli 1907 in Westerland auf Sylt zur Welt. Sein Elternhaus und die Schmiede seines Vaters standen nur wenige Meter östlich des heutigen Bahnhofs kurz bevor der Kirchenweg in die Keitumer Chaussee übergeht.
Nachdem sein Bruder im Ersten Weltkrieg gefallen war, war er das einzige Kind seiner Eltern. Er wird in die Fußstapfen seines Vaters treten und als Schmied arbeiten.
Hermann Meinert Hansen soll den Wehrdienst verweigert haben, darüber gibt es aber keine gesicherten Erkenntnisse.
Am 20. September 1941 wird Hansen ins KZ Stutthof eingeliefert. Vier Wochen später muss er folgende Erklärung unterschreiben: „Ich erkläre hiermit, daß ich über meine Verhaftung und meinen Aufenthalt bis zum 21. Okt. 1941, sowie über mein Ergehen während dieser Zeit nichts in der Öffentlichkeit verbreiten oder meinen Angehörigen bekanntgeben werde. Mir ist bekannt, daß ich bei Zuwiderhandlung sofort wieder in das K.Z.- Lager eingeliefert werde.“
Ob er in dem Glauben gelassen wurde, er würde entlassen werden? Tatsächlich datiert bereits vom 9. Oktober 1941 ein Schreiben der Gestapo Danzig an die Kommandantur des Gefangenenlagers Stutthof mit folgender Anweisung: „Ich bitte Hansen zu entlassen, da er auf Anordnung des RSHA (Reichssicherheitshauptamt) in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen werden soll“.
Einer „Empfangsbescheinigung“ vom 21. Oktober ist zu entnehmen: „Der Häftling Hansen, Hermann geb. am 29.7.07 in Westerland / Sylt zuletzt wohnhaft gewesen Westerland / Sylt ist heute der geheimen Staatspolizei Danzig zur weiteren Verwendung ausgehändigt worden“.
Kurz darauf wird er das Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ passiert haben.
Jetzt hat Hermann Hansen nur noch wenige Wochen zu leben. Mit der Häftlingsnummer 40084 lebt er im Häftlingsblock 14 und gehört zur Häftlingskategorie „Sond.Abt. Wehrm“. Sogenannte „SAW Häftlinge“ waren Männer, die entweder der Einberufung nicht Folge geleistet hatten oder lustloses, renitentes, undiszipliniertes, also „unsoldatisch“ gesehenes Auftreten an den Tag legten.
Nach der Devise „Vernichtung durch Arbeit“ starben im KZ Sachsenhausen tausende Häftlinge durch Zwangsarbeit in den SS-eigenen Betrieben wie „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH“ und „Deutsche Ausrüstungswerke“ sowie in den über 100 Außenlagern des KZ Sachsenhausen.
Aus Unterlagen des Russischen Staatlichen Militärarchivs in Moskau geht hervor, dass Hermann Hansen am 2. Dezember 1941 in den Krankenbau überführt wird. Hier stirbt er am 8. Januar 1942 um 13 Uhr an Herzschwäche. Als Grundleiden wird Bronchopneumonie angegeben, was in Anbetracht der Verhältnisse im Lager an formulierter Menschenverachtung kaum zu überbieten ist.
Wer zu der alten Westerländer Kirche St. Niels geht, auf deren Rückseite der „Brunnenplatz“ zu finden ist, wird dort den Grabstein seiner Eltern entdecken, auf dem auch sein Name steht. Beerdigt wurde er in Westerland aber nicht.
Grabstein von Hermann Hansen (1907–1942)
Hans Leopold Hansen
Hans Leopold Hansen
06.01.1898 Westerland
06.12.1944 Buchenwald
Hansen stammt aus einer Westerländer Bauunternehmerfamilie und wächst mit drei Schwestern und einem Bruder in der Villa Marie in der Steinmannstraße 15 auf.
Schon in jungen Jahren werden Hansen mehrere Gelegenheits- Diebstähle und Einbrüche vorgeworfen und er wird zu Jugendstrafen von jeweils einigen Monaten verurteilt. 1913 arbeitet er kurzzeitig als Zimmermann und es gelingt ihm 1914 einer verhängten Strafe abzuwenden, da er zu den Pionieren eingezogen wird. Mit Kriegsende befindet er sich für knapp 2 Jahre in einer Krankenanstalt. Ab 1920 bis 1938 heuert er mit kleineren Unterbrechungen als Seemann an, um dann in den Kriegsjahren 1938 bis 1944 auf der Werft der Kriegsmarine in Kiel zu arbeiten.
Für den Zeitraum 1920/1921 lässt sich aus einer Prozess-Akte festhalten, dass Hansen in Flensburg gemeldet ist. Ihm wird Diebstahl vorgeworfen und er befindet sich in Untersuchungshaft, was dazu führte, dass er vom 22. November 1920 bis zum 3. Januar 1921 in die Provinzial-Heilanstalt Schleswig zu Beobachtung eingewiesen wird, um seinen Geisteszustand zu begutachten.
Im Gutachten vom 28. Dezember 1920 wird ihm eine leichte geistige Behinderung bescheinigt, die jedoch nicht so weit geht, dass er unzurechnungsfähig sein.
1934 bis 1937 lebt Hansen in erster Ehe verheiratet in Kiel, 1942 heiratet er ein zweites Mal.
Zum Verhängnis wird Hansen der 13. Juli 1944. Er wird wegen „intimen Verkehr[s] mit einer Polin“ verhaftet und wird zum 2. November 1944 in das Konzentrationslager Stutthof verbracht. Am 29. November 1944 wird er als „politischer Häftling“ in Buchenwald registriert.
Unter den Stutthof-Häftlingen gibt es bei der Verlegung zahlreiche Fälle von Fleckfieber, so dass die insgesamt 500 Häftlinge im Quarantänebereich einquartiert werden. Auch Hans Leopold Hansen ist in schlechtem körperlichem Zustand und wird am 2. Dezember im Häftlingskrankenbau aufgenommen.
Am 6. Dezember 1944 verstirbt Hans Leopold Hansen im Häftlingskrankenbau. Als offizielle Todesursache wird „Herzschwäche bei Lungenentzündung links“ angegeben.
Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/)
Walter Henningsen
Walter Henningsen
19.02.1917 Tinnum
16.05.1939 Wewelsburg (Büren)
Walter Henningsen wird 1917 in Tinnum auf Sylt geboren. Er war das jüngste Kind von sechs Geschwistern, die alle mit der sylterfriesischen Sprache, dem Sölring, groß werden. Seine Eltern waren begeisterte Laienschauspieler kleiner Theaterstücke, die in Sölring gespielt wurden.
Henningsen, der den Beruf des Installateurs erlernte, engagierte sich früh in der KPD. Anlass seiner Verhaftung soll ein Vorfall gewesen sein, der sich im Dorf ereignete. Er hatte den Tinnumer Bürgermeister auf Sölring mit „Gur Miaren“ (Guten Morgen) gegrüßt, der ihm darauf antwortete, das hieße jetzt nicht mehr „Gur Miaren“ sondern „Heil Hitler“. Daraufhin soll Walter Henningsen geantwortet haben, ihm gefiele „Gur Miaren“ aber viel besser. Der Bürgermeister erstattete daraufhin eine Anzeige.
1937 wird Henningsen in das KZ Sachsenhausen/Lager in Oranienburg überführt. Er gehört zu jenen Gefangenen, die abkommandiert worden waren, um in Büren, auf der sogenannten Wewelsburg, die SS-Reichsführerschule auszubauen.
Henningsen und ein weiterer Mitgefangener scheinen sich hier zur Flucht entschlossen zu haben. Sie überwältigen einen Wachtposten, knebeln ihn und entwenden dessen Karabiner und Munition.
Beide können zunächst flüchten. Walter Henningsen wird noch am gleichen Tag gestellt und stirbt an den Folgen eines Bauchschusses.
Am 20. Mai 1939 schaltet die Familie eine Todesanzeige in der Sylter Zeitung.
Der Tinnumer Bürgermeister und die Eltern von Walter Henningsen überlebten den Krieg. Wie die Familien mit der Verantwortung und der Trauer umgingen, wenn sie sich im Dorf begegneten, ist nicht überliefert.
Todesanzeige von Walter Henningsen (1939)
Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/)
Johanna Herold geb. Eichenwald
Johanna Herold geb. Eichenwald
geb. 23.11.1883 Herbede
ermordet 30.01.1943 in Auschwitz
Johanna Herold wurde im Jahre 1883 in Herbede geboren, ihre Mutter war jüdischen Glaubens. 1906 oder 1907 heiratete sie den in Kiel geborenen Heinrich Herold, der Fotograf auf Sylt war, mit dem sie fünf Kinder hatte.
Die zahlreichen und zahlungskräftigen Badegäste auf Sylt waren an Erinnerungsfotos interessiert. Das hatte Heinrich Herold wohl dazu bewogen, in Westerland sein Fotogeschäft zu eröffnen. Seine Frau half ihm, soweit es die Sorge für die Kinder erlaubte.
Johanna Herold geb. Eichenwald (1883–1943)
Das Photohaus Heinrich Herold befand sich in der Paulstraße. Im Atelier wurden Portraits angefertigt, alle üblichen Fotoarbeiten für Amateure ausgeführt und Fotoartikel und Postkarten verkauft. Der Erfolg blieb nicht aus, die Familie war in das geschäftliche und gesellschaftliche Leben auf Sylt eingebunden. Sie pflegten insbesondere eine enge Freundschaft mit dem Ehepaar H., Geschäftsleuten aus der Friedrichstraße, überzeugten Nationalsozialisten.
Bald nach der Machtergreifung bekommt die Familie Herold Schwierigkeiten. Zunächst erschienen Zeitungsinserate des Inhabers eines anderen Sylter Fotohauses, der dem Kollegen Denunzierung und üble Nachrede vorwarf, diese aber teilweise wieder zurücknimmt. Danach hatte die Familie lange Zeit Ruhe bis der Sohn Franz, der als Soldat in Dänemark stationiert war, auf Heimaturlaub kam und nach einer Denunziation auf Sylt verhaftet und ins KZ Buchenwald überführt, wurde. Er überlebte, vermutlich nur, weil er als Facharbeiter in der Produktion von Ferngläsern eingesetzt und damit kriegswichtig war.
Schwer traf es die Familie, als Johanna Herold 1943 von der Gestapo verhaftet wurde: Auf die Frage einer Kundin, wann es wieder Farbfilme zu kaufen gäbe, soll Johanna Herold geantwortet haben: „Da müssen Sie warten, bis wir eine andere Regierung haben“. Ob die Kundin oder, wie andere vermuten, eine Angestellte, die mit einem Offizier liiert war, sie denunziert hatte, ist nicht geklärt. Johanna Herold kam zunächst in das Westerländer Gefängnis in der Bomhoffstraße, um kurz darauf in das Gestapogefängnis nach Kiel überführt zu werden. Dort wurde sie von ihre Sylter Freundin H. besucht, die demonstrativ ihr Parteiabzeichen trug. Zunächst wurde sie an der Pforte abgewiesen. Die als resolut bekannte Dame ließ sich aber nicht von ihrem Vorhaben abbringen und drohte dem Wachhabenden: „Wenn Sie mich nicht reinlassen, werde ich das Hermann Göring erzählen“, sicherlich mit dem Hinweis, dass ihr Mann regelmäßig mit Hermann Göring auf die Seehundjagd ging. Dieser Besuch bei Johanna Herold ist von Familie H. überliefert, aber es gibt keine Informationen darüber, was die beiden Frauen gesprochen haben.
Johanna Herold wurde nach Auschwitz transportiert. Sie kam dort am 30. Januar im Gas um. Ihre Schwester Elly kam im KZ Ravensbrück um. Nur der Schwester Helene gelang die Flucht nach England.
Die Urne mit der angeblichen Asche von Johanna Herold wurde am 1. Juli 1943 in einer Trauerfeier auf dem alten Westerländer Friedhof beigesetzt.
Blumenberg-Lampe, Christine: Stolpersteine – Johanna Herold geb. Eichwald. Jahresbericht der Sölring Foriining e.V., (2017), S.42/43.
Carl Christian Jessen
Carl Christian Jessen
geb. 28.11.1882 Morsum
Tod vermutlich am 03.05.1945 auf der Cap Arcona
Carl (nicht Karl) Christian Jessen wurde am 28. November 1882 als achtes Kind des Ehepaars August Friedrich Jessen und seiner Ehefrau Anna geb. Volquartzen geboren. Er war gelernter Schmied, fuhr in jungen Jahren zwischen Kappeln und Schleswig als Lokomotivführer, später war er bei der Sylter Inselbahn beschäftigt. 1908 heiratete er die Tinnumerin Germine Engeline Marie Möller. Sie hatten drei Kinder. Das Ehepaar wirtschaftete seit den zwanziger Jahren äußerst erfolgreich als Vermieter. Ab 1922 gehörte ihnen das 100-Betten-Hotel „Skandinavia“ in der Käpt’n Christiansen-Straße/Ecke Bismarckstraße, das sie 1927 verkauften.
Von diesem Erlös erwerben sie im Norden der Stadt zwei neue Herbergen, das Haus „Nordwacht“, in dem die Loge „Frisia zur Nordwacht“, der Carl Jessen angehörte, ihren Sitz hatte, sowie ein Gästehaus in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das Vermietungsgeschäft florierte, die drei Kinder wuchsen in behüteten Verhältnissen auf.
Carl Jessen war, wie seine Tochter berichtet, „ein Friese, wie er im Buche steht. Immer geradeheraus, hilfsbereit, aber unendlich stur.“ Das machte ihm und den seinen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten das Leben nicht immer leicht. Jessen war seit 1918 Mitglied der Westerländer SPD und später deren Stadtverordneter. Als sich 1933 der Stadtrat neu konstituierte sich Jessen nicht mehr zur Verfügung, der neue politische Umgangston missfiel ihm. Seine politische Einstellung verbarg er zu keiner Zeit: In seinem Hotel beschäftigte er nicht nur bedürftige Frauen, sondern auch Kommunisten, Ausländer und Juden. Auch gegenüber seiner Tochter war er nicht zu Kompromissen bereit: Er verweigerte ihr das erbetene Geld für ihre BDM-Uniform. Es war stadtbekannt, dass er die BBC-Nachrichten hörte, er tat es bei offenem Fenster. Auch vor seinen Kollegen der Sylter Inselbahn, bei der er im Krieg zwangsverpflichtet war und als Altgeselle arbeitete, nahm er kein Blatt vor den Mund. Der damalige Lehrling Willi Witte schildert dies eindrücklich in seinem Bericht von der Verhaftung von Carl Jessen, die er miterlebte:
„Carl Jessen war für seine Arbeitskollegen und auch Meister nicht immer ein leichter Brocken. Er nahm auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um Politik ging. Er war ein alter Sozialdemokrat. Als Handwerker im Betrieb war er überdurchschnittlich tüchtig und wurde auch so respektiert. Für einen Lehrling war es schon fast wie eine Auszeichnung, bei ihm arbeiten zu dürfen.
Eines Tages, im August 1944, kamen zwei Hilfspolizisten an unser Werkstatttor und traten auf Carl Jessen zu. Es waren zwei hiesige Leute, die als Hilfspolizisten eingezogen worden waren. Der eine, Kaufmann Kr., sagte zu Carl Jessen auf Plattdeutsch: ,Ich soll dich abholen‘. Carl Jessen wie es so seine Art war, sagte nur kurz: ,Jo‘. Dann sagte der Hilfspolizist Kr. auf platt: ,Ich darf das ja nicht, aber willst du noch mal nach Hause und eine Jacke überziehen?‘ Carl Jessen sagte kurz: ,Nein‘. Und ging dann in voller Arbeitskleidung mit den beiden über die Schienen in Richtung Rathaus.“ *
Am 22. und 23. August 1944 überzogen die Nationalsozialisten Deutschland mit der „Aktion Gewitter“ und rächten damit möglicherweise das Attentat vom 20. Juli 1944. Die umfassenden Verhaftungen richteten sich gegen ehemalige Mandatsträger und Funktionäre der bürgerlichen Parteien sowie Gewerkschafter. Bereits am 22. August wurden sieben ehemalige Westerländer SPD-Stadtverordnete verhaftet, darunter Carl Jessen, was niemanden, am wenigsten ihn selbst, erstaunte. Er wurde an seinem Arbeitsplatz verhaftet, was den diensttuenden Hilfspolizisten sichtlich unangenehm war, wie Willi Witte berichtet. So kauften die Polizisten zunächst Zigarren für Carl Jessen, bevor sie ihn ins Rathaus brachten. Am 23. August wurde die Gruppe mit dem Zug nach Kiel und von dort ins KZ Neuengamme gebracht.
Wahrscheinlich hatte sich der Ortsgruppenführer von Westerland für die Verhafteten mit Eingaben verwandt. Denn im Herbst kamen vier von ihnen auf die Insel zurück. Carl Jessen blieb verhaftet. Bittbriefe und Gesuche der Ehefrau hatten keinen Erfolg. Die Familie bewahrt einige Briefe von Carl Jessen aus dem KZ auf, das er wohl im April 1945 mit den anderen Häftlingen verließ. Es ist bis heute ungeklärt, ob er auf dem Todesmarsch in Richtung Lübeck entkräftet verstarb, wie ein Zeuge berichtet, oder ob er das Schiff Cap Arcona erreichte und bei der Bombardierung des Schiffes durch britische Jagdflugzeuge am 3. Mai 1945 starb.
Seit August 2007 erinnert ein Stolperstein vor seinem ehemaligen Haus in der Westerländer Johann-Möller-Straße 16 an Carl Jessen.
*LeMO – Lebendiges Museum Online, ein Online-Portal zur deutschen Geschichte (Kooperationsprojekt der Stiftung Deutsches Historisches Museum, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesarchivs)
Erhard Jörgensen
Erhard Jörgensen
geb. am 17.02.1902 Archsum
Suizid am 22.05.1944 Archsum
Erhard Jörgensen wird am 17. Februar 1902 in Archsum geboren. Er lebt mit seinen Eltern, die in der Landwirtschaft arbeiten, und sechs Geschwistern in Archsum, dem damals kleinsten Dorf der Insel, das aus weniger als 50 Häusern bestand.
Erhard Jörgensen ist Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges. Er gehört zu den kämpfenden Truppen, die bei Stalingrad eingesetzt werden, als Sanitätsgefreiter ist er als Ersthelfer von Verletzten im Einsatz. Er begleitet die Krankentransporte in die Heimat, die ihn traumatisiert zurücklassen.
Erhard Jörgensen (1902–1944)
Als er im Mai 1944 auf Heimaturlaub nach Sylt kommt, steigt er in Morsum aus, ein Fahrkartenkontrolleur kann sich an ihn erinnern.
Auf dem Fußweg nach Archsum scheint er niemanden zu begegnen. Er schlägt den Weg zu seinem Elternhaus ein, das er aber nicht mehr betreten wird. Ein russischer Zwangsarbeiter findet seine erhängte Leiche am nächsten Morgen an einem Apfelbaum, der im Garten der Familie steht.
Bei den Recherchen zu Erhard Jörgensen im Jahre 2024 war der Erinnerungsfaden in der Familie und im Dorf so weit abgerissen, dass keine näheren Informationen mehr zu ermitteln waren.
Franz Korwan
Franz Korwan
geb. als Sally Katzenstein 27.10.1865 Heinebach/Melsungen/Hessen-Nassau
Tod am 04.09.1942 Lager Noe/Frankreich
Sally Katzenstein wird am 27. Oktober 1865 in Heinebach, in der Nähe von Kassel, geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums hätte er gerne Kunst studiert, aber er wird er eine Banklehre absolvieren müssen und schreibt dazu:
„Meine Eltern konnten mir die Mittel nicht gewähren um Maler zu werden, so kam ich den in geschäftlichen Kreisen herrschenden Anschauungen gemäss in ein Bankgeschäft nach Frankfurt am Main, hielt dort die Lehre zwar aus, konnte aber dem Kaufmannstande kein Interesse entgegen bringen und kehrte erkrankt in das elterliche Hause zurück. Mein damaliges Unwohlsein veranlasste einen hier auf Sylt ansässigen Onkel, mich für wenige Monate zu sich zu nehmen (…).“
Franz Korwan Katzenstein (1865–1942)
Dieser Onkel Wolf Salomon Wolf (1835 bis 1907) lebt in Westerland als Vermieter und Kaufmann und Dank seiner monatlichen Zuschüsse kann Sally Katzenstein 1887 ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie beginnen.
1893 ist er für ein Semester in der Klasse des Landschaftsmalers Eugen Bracht (1842 bis 1921) eingeschrieben, mit dem ihm später eine Freundschaft verbindet.
Katzenstein entscheidet sich 1890, auf Sylt als Maler zu arbeiten, vier Jahre später wird er hier heiraten und Vater einer Tochter werden.
Er unterhält in der Westerländer Strandstraße ein Atelier. Sein Haus entwickelt sich zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt auf Sylt. Der kunstsinnige Postminister Heinrich von Stephan, der regelmäßig die Insel besucht, lässt 1896 in Korwans Atelier durch den Berliner Bildhauer Hugo Berwald das Tonmodell seiner Büste anfertigen, die heute im Westerländer Rathauspark steht.
Katzenstein, der 1908 zum evangelischen Glauben konvertiert und seinen mittlerweile genutzten Künstlernamen „Franz Korwan“ 1924 als bürgerlichen Namen eintragen lässt, hat viele Begabungen. Ein Zeitzeuge schreibt:
„Korwan war ein vielseitig begabter Mensch (…). Er konnte z. B. für Familienfeiern ausgezeichnet dichten, seine Gedichte vertonen und Klavierspielen. Dieses ohne Noten zu kennen. Er spielte alles auswendig, nur nach dem Gehör, und zwar nicht nur einfache Lieder, sondern ebenfalls anspruchsvolle, klassische Stücke.“
Er engagiert sich als Kommunalpolitiker, ist aktiv an der Entwicklung von Westerland als Kurort beteiligt. Als zeitweiliger Vizebürgermeister
Westerlands verwaltet er die städtische Sparkasse, auch für die Verleihung der Stadtrechte an Westerland 1905 soll er intensiv gefochten haben.
Korwan ist befreundet mit dem jüdischen Ehepaar Saenger, die ihn in Keitum aufnehmen, nachdem seine Ehe gescheitert und er in finanzielle Schwierigkeiten gekommen war.
Nach der Machtergreifung, Julius Saenger war mittlerweile verstorben, leben er und Elsa Saenger in einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammen. Aufgrund der sich verschärfenden antisemitischen Anfeindungen fühlt sich Elsa Saenger, von der Korwan vermutlich finanziell abhängig war, in Keitum nicht mehr sicher und die beiden verlassen 1937 die Insel, in der Hoffnung in Wiesbaden oder Baden Baden geschützt und anonym leben zu können.
Aber am 12. Oktober 1940 werden jedoch erstmalig badische Juden verhaftet und nach Südfrankreich in das Internierungslager Gurs deportiert. Im Februar 1942 werden beide in das Lager Noé verlegt, in dem Sally Katzenstein am 4. September 1942 stirbt. Elsa Saengers Spur verliert sich im Vernichtungslager Auschwitz.
Für Franz Korwan – alias Sally Katzenstein – liegt seit 2007 ein Stolperstein in der Westerländer Strandstraße und ein Stolperstein in Keitum. Im Oktober 2010 wird in Baden-Baden vor dem Haus Werderstraße 5 ein dritter Stolperstein für ihn verlegt.
Ahrens, Dörte und Silke Tofahrn (Red.): Franz Korwan „Ich gehe schweren Herzens von der Insel…“ , Ausstellungskatalog, Sylter Heimatmuseum, Söl’ring Foriining, Keitum 2015.
Nuhn, Heinrich: „Er hat das Bild von Sylt geprägt“. In: Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), Ausgabe 23.10. 2015.
Maria Käthe Siegert, geb. Krost
Maria Käthe Siegert, geb. Krost
geb. 29.07.1894 Dresden
Suizid am 24.09.1944 Westerland
Käthe Siegert wurde 1894 in Dresden geboren, wo sie 1917, mit 23 Jahren, Karl Ernst Siegert, einen Bankbeamten, heiratete.
Wann das Ehepaar nach Westerland auf Sylt übersiedelte, ist nicht bekannt. Sie betrieben in der Strandstraße, im ehemaligen Haus Palma, ein Modegeschäft.
Über die Gründe der Verhaftung von Käthe Siegert im Jahre 1944 gibt es unterschiedliche Aussagen. Sie soll von einem Dienstmädchen denunziert worden sein, die sie vorher beim Stehlen ertappt hatte. Die Anklage soll allerdings auf Warenhortung und Blinkzeichen als Warnung für feindliche Flugzeuge gelautet haben.
Fest steht, das Käthe Siegert von der Gestapo verhaftet wurde und in das Gestapogefängnis in der Bomhoffstraße gebracht wurde. Hier erhängt sie sich am 24. September 1944 in der Arrestzelle.
Sie ist nicht im Begräbnisregister der Kirchengemeinde Westerland verzeichnet. Aber einer Karteikarte ist zu entnehmen, dass sie vier Tage später vor Ort bestattet wurde. (Ihr Ehemann, der am 7. November 1949 in Dresden verstarb, wird in einer Urne nach Westerland überführt und neben ihr bestattet.)
Das Haus Palma (s. Foto) ist längst einem Neubau gewichen. Hier wurde 2009 der Stolperstein für Käthe Siegert verlegt.
Jens Emil Mungard
Jens Emil Mungard
geb. 09.02.1885 Keitum
ermordet 13.02.1940 Sachsenhausen
Jens Emil Mungard, geboren 1885 in Keitum, kann wohl als der produktivste und bedeutendste Dichter Nordfrieslands gelten. Hinterlassen hat er ungefähr 800 Gedichte, mehrere Bühnenstücke und eine Reihe von Prosastücken. Einige seiner Gedichte dürften wohl zu dem Besten gehören, was in nordfriesischer Sprache geschrieben wurde.
Eines davon ist „Di Hiir es Brir“, wo er das Naturereignis, die damals auf Sylt überall blühende herbstliche Heide, für das die Sylter den schönen Ausdruck „Die Heide ist braut“ haben, mit seinem persönlichen Schicksal verknüpft.
Jens Emil Mungard (1885–1940)
Jens Mungard dürfte wohl der einzige Dialektdichter des damaligen Deutschen Reiches gewesen sein, der offen seine Gegnerschaft gegenüber dem Dritten Reich bekundete und der diese Haltung mit der Verbringung in das KZ Sachsenhausen bezahlte. Er stirbt hier 55-jährig am 13. Februar 1940. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin hat ihm wegen seines Schicksals einen Platz in ihrer Ausstellung gegeben. Das evangelische Märtyrerlexikon „Ihr Ende schaut an“ widmet ihm einen eigenen Artikel.
Jens Emil Mungard stimmt bei der Volksabstimmung 1920 vehement für den Anschluss an Dänemark. Auch sein Vater, u.a. Kapitän, Dichter und Sprachforscher der friesischen Sprache vertritt diese Haltung, die beide auf Sylt zunehmend isoliert. Die unaufgeklärten Brände des Hauses in Archsum und der Hofstelle in Keitum sowie schlechtes Wirtschaften und Inflation sorgen bei Mungard für zunehmende Schwierigkeiten.
Mungard geht bereits mit der sogenannten Machtübernahme auf Konfrontation mit den Nationalsozialisten. Als Einzelgänger verweigert er sich einer Ideologie mit der Ausrichtung auf einen Führer und die Volksgemeinschaft, was für ihn die Einschränkung individueller Freiheitsrechte bedeutet. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist zugleich eine Steigerung des bereits bestehenden Konfliktes zwischen Mungard und der Sylter Gemeinschaft, wo er schon längst durch die äußeren Umstände seines Lebens isoliert ist. Indem Mungard jetzt offen gegen eine Ideologie auftritt, der die meisten seiner Landsleute zumindest in den Anfängen kritiklos gegenüberstehen, ist er nun völlig zum Außenseiter gestempelt. Nachdem er bereits 1934 endgültig die Insel verlässt -er wurde 1932 geschieden und hatte seinen gesamten Restbesitz seiner Frau übertragen- verbindet ihn nur noch seine schriftstellerische Tätigkeit mit Sylt. Seine friesischen Beiträge werden zunächst noch wegen ihrer hohen sprachlichen Qualität in der Zeitungsbeilage „Fuar Sölring Lir“ gedruckt.
Es ist nicht das spektakuläre Ereignis, was Mungard zum Widerspruch herausfordert, sondern der alltägliche Nationalsozialismus. Obwohl Mungards Dichtung vielfach vom Germanenmythos und Verherrlichung des nordischen Menschen bestimmt ist – er ist da ganz Kind seiner Zeit – ist er wohl einer der wenigen in Schleswig-Holstein, der die antisemitische Propaganda aufs Korn nimmt und Partei für die jüdischen Mitbürger ergreift.
Nach 1936 ist Mungards Leben eine einzige Abfolge von Aufenthalten in der so genannten Schutzhaft.
Am 13. Februar 1940 stirbt Mungard im KZ Sachsenhausen.
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Carl August Quaas
Carl August Quaas
geb. 18.01.1895 Westerland
Tod am 03.05.1945 auf der Cap Arcona
Carl (nicht Karl) Quaas wurde in Westerland als ältestes von neun Kindern geboren. Er wuchs mit drei Schwestern und fünf Brüdern auf. Die Schule besuchte er in Westerland und machte anschließend im elterlichen Betrieb eine Lehre zum Schlachter. Danach versuchte Carl Quaas im Frühjahr 1910, nach Amerika auszuwandern. Sein Ziel war die kleine Sylter Kolonie in Columbus, Montana. Ihm wurde jedoch die Einreise in die USA wegen einer Augenerkrankung verweigert, die er sich vermutlich auf der Überfahrt zugezogen hatte.
Carl August Quaas (1895–1945)
Nach der missglückten Auswanderung kehrte Carl Quaas nach Sylt zurück und arbeitete fortan im elterlichen Betrieb. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat. Eine ihm unbekannte Minna Johanna Creutz schrieb ihm Briefe ins Feld. Sie war eine interessierte junge Buchhändlerin. Am 5. April 1921 heiratete er sie. Das junge Paar bezog eine Wohnung über der Schlachterei in der Kjeirstraße 14, Ecke Deckerstraße. Ihm wurden sieben Kinder geboren, drei starben schon im Säuglingsalter. Die Familie führte ein recht unbeschwertes Leben, die Eheleute arbeiteten zusammen in der Schlachterei. Daneben blieb Carl Quaas Zeit, sich im Spielmannszug und insbesondere in der SPD zu engagieren. Im April 1933 rückte er in die Westerländer Stadtverordnetenversammlung nach. Mit deren Auflösung endete seine politische Betätigung, in die NSDAP trat er nicht ein.
Die SPD Mitgliedschaft und sein früheres, nur kurz ausgeübtes Amt als Stadtverordneter führten dazu, dass Carl Quaas im Zuge der „Aktion Gewitter“ am 22. August 1944 verhaftet wurde. Als er vormittags abgeholt werden sollte, war er mit der Verarbeitung einer Hausschlachtung beschäftigt. Auf sein Ehrenwort hin erhielt er Aufschub. Er stellte sich wie vereinbart um 22.00 Uhr freiwillig bei der Polizei. Zusammen mit sechs anderen Westerländer SPD Mitgliedern, u.a. Carl Jessen und Max Feddersen, wurde Carl Quaas am nächsten Tag mit dem Frühzug nach Kiel transportiert. Von dort kamen die Männer im KZ Neuengamme in Schutzhaft.
Die Haft setzte Carl Quaas sichtlich zu, es ging ihm schlecht, seine Schrift in den Briefen an die Familie wurde immer zittriger. Im Herbst 1944 wurden vier der auf Sylt Verhafteten nach Hause entlassen. Warum Quaas wie Feddersen und Jessen weiter in Haft blieben, ist bis heute ungeklärt. Sie wurden im KZ Neuengamme bis zu dessen Auflösung festgehalten und im April 1945 nach Lübeck auf das Schiff Cap Arcona verbracht.
Auf dem Schiff hatten Feddersen und Quaas das Glück, zusammenbleiben zu können, sie teilten sich eine Kabine auf dem D-Deck. Die genaue Todesursache von Carl Quaas ist unbekannt, sein Leichnam wurde nicht gefunden.
Seine Witwe trug schwer an seinem Tod. Sie hatte nicht nur den Partner, sondern auch den Ernährer verloren. Das Geschäft, das sie zunächst mit dem in der Familie aufgewachsenen Neffen ihres Mannes führte, konnte sie nicht halten, es überforderte sie und den jungen Mann. Sie verkaufte die Schlachterei, blieb jedoch mit den Kindern zunächst über der Schlachterei wohnen. Ohne viel Hilfe oder Rückhalt sorgte Minna Quaas für sich und ihre vier Kinder. Erst nach Jahren erhielt sie eine kleine Rente. Die späte Ehrung ihres Mannes durch die Gemeinde Westerland und die Verlegung des Stolpersteins erlebte sie nicht mehr.
Anita Clara Rée
Anita Clara Rée
geb. 09.02.1885 in Hamburg
Suizid am 12.12.1933 in Kampen auf Sylt
Anita Rée wurde 1885 in Hamburg als Tochter des jüdischen Kaufmanns Eduard Israel Rée und seiner aus Venezuela stammenden Frau Anna Clara Rée geboren. Die Eltern ließen ihre beiden Töchter evangelisch taufen.
Mit 20 Jahren begann Anita Rée in Hamburg Malunterricht zu nehmen, ihre Geburtsstadt blieb der zentrale Lebensort und Mittelpunkt ihres künstlerischen Wirkens.
Ihre künstlerische Ausbildung erhielt Rée zunächst beim Freiluftmaler Arthur Sibelist und in der privaten Pariser Kunstschule von Fernand Léger. Noch war es für Künstlerinnen kaum möglich, an der Akademie zu studieren. Das änderte sich erst in der Weimarer Republik im Jahr 1919, das auch das Gründungsjahr der Künstlervereinigung Hamburgische Sezession war. Anita Rée gehörte zu den Gründungsmitgliedern und war seit ihrer Rückkehr aus Paris 1913 eine regional und darüber hinaus beachtete Künstlerin, die von Privatsammler*innen wie Valie Alport und Museen wie der Hamburger Kunsthalle geschätzt und gesammelt wurden. Anita Rées Porträts und Landschaften entstanden indes nicht nur in Hamburg, sondern auch auf Auslandsaufenthalten, etwa im italienischen Positano. Dort lebte und arbeitete die Malerin zwischen 1922 und 1925.
Anita Rée (1885–1933)
Zurück in Hamburg war Anita Rée 1926 Mitgründerin des Berufsverbandes GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen). Sie war also eine Künstlerin, die sich im Verbund und für die Interessen der Künstlerinnen engagierte. Durch Vermittlung des Oberbaudirektors Fritz Schumacher erhielt Anita Rée um 1930 zwei große Aufträge. Für die Staatliche Gewerbe- und Hauswirtschaftsschule an der Uferstraße entstand das Wandbild „Die klugen und die törichten Jungfrauen“. Ein weiteres Wandbild – „Orpheus und die Tiere“ – malte Rée in der Oberrealschule für Mädchen in der Caspar-Voght-Straße.
1930 erhielt sie den Auftrag für ein Altarbild in der St. Ansgar Kirche in Hamburg-Langenhorn. In einer brieflichen Anfrage skandalisierte die NSDAP-Zeitung „Hamburger Abendblatt“, dass eine Jüdin ein Altarbild für eine evangelische Kirche gemalt habe. Der Kirchenvorstand entschied sich schließlich, das Bild nicht aufzustellen – mit der Begründung, dass es der Malerin nicht gelungen sei „das Heilige zum Ausdruck zu bringen“ (Pastor Stehn an den Kirchenrat, 2. Januar 1932).
Die NSDAP hatte bereits 1930 Wahlerfolge verbucht, selbstbewusst verbreitete antisemitische Hetze wurde zu einer Alltagserfahrung. Dieses politische Klima und daraus resultierende wirtschaftliche Probleme mögen dazu geführt haben, dass Anita Rée Hamburg im Sommer 1932 verließ und nach Sylt ging. Zudem war ihr kurz vorher aufgrund eines Hausverkaufs das Zimmer in Hamburg gekündigt worden. Auf Sylt wohnte die Künstlerin zunächst in Braderup, später in Kampen. Auf der Nordseeinsel gelang Anita Rée eine Weiterführung ihrer künstlerischen Arbeit, freilich unter anderen Konditionen: Statt Ölgemälde entstanden Landschaften, Tiere und Porträts in wasserlöslichen Farben auf Papier. Zudem konnte sie mehrere Auftragsarbeiten ausführen, bemalte Fensterläden und Möbel, führt Wandmalereien in verschiedenen Kampener Häusern aus. Brieflich und persönlich behielt Anita Rée Kontakt mit alten Freund*innen, die sie gerade in den Sommermonaten auf der Insel besuchten. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers im Januar 1933 bekannte sich die Hamburgische Künstlerschaft zum Nationalsozialismus und schloss im April 1933 alle jüdischen Mitglieder aus – darunter auch Anita Rée. Die Briefe ihrer letzten Lebensmonate sprechen von existenzieller Not, künstlerischer Krise und der Sorge um ihr Leben angesichts der Bedrohungslage.
Im Teilnachlass der Künstlerin in der Hamburger Kunsthalle findet sich ein kleiner Zeitungsausschnitt aus den 1920er Jahren über einen Bankier, der sich mit dem Schlafmittel Veronal tötete. Anita Rée entschied sich am 12. Dezember 1933, es ihm gleich zu tun und nahm sich mit einer Überdosis Veronal in Kampen das Leben. Der Stolperstein markiert den letzten Wohnort im Haus der Familie Ochel in Kampen.
Nach dem Tod Anita Rées bemühte sich der ehemalige Museumsdirektor Carl Georg Heise um eine Publikation in Erinnerung an die Künstlerin, die jedoch erst 1968 erschien. Vor Beschlagnahmung durch den NS und Zerstörung in Kriegszeiten schützte der Hausmeister der Hamburger Kunsthalle, Wilhelm Werner, die Gemälde Anita Rées, indem er diese 1937 in seiner Wohnung versteckte. In den 1980er Jahren ließen die Kunsthistorikerinnen Maike Bruhns und Marina Schneede das verdeckte Wandbild „Orpheus und die Tiere“ wieder freilegen. Maike Bruhns widmete sich der Malerin in ihrer Dissertation und verschaffte ihr neue Aufmerksamkeit. Eine große Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle im Jahr 2017 würdigte Anita Rées Wirken und wurde begleitet von einem Katalog und Werkverzeichnis.
Text: Burcu Dogramaci
Literatur und Quellen (Auswahl):
Maike Bruhns in Zusammenarbeit mit Karin Schick und Sophia Colditz: Anita Rée. Das Werk, München/London/New York 2018.
Karin Schick (Hg.): Anita Rée – Retrospektive, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2017.
Ulrich Luckhardt: Die Sammlung des Hausmeisters Wilhelm Werner, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2011.
Christian Fuhrmeister: Anita Rée. Werk statt Vita, in: Künstlerinnen der Avantgarde in Hamburg zwischen 1890 und 1933, Bd. 1: Helene Cramer, Molly Cramer, Mary Warburg, Elena Luksch-Makowsky, Gretchen Wohlwill, Alma del Banco, Anita Rée, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2006, S. 103–110.
Friederike Weimar: Die Hamburgische Sezession 1919–1933. Geschichte und Künstlerlexikon, Fischerhude 2003.
Maike Bruhns: Anita Rée. Leben und Werk einer Hamburger Malerin 1885–1933, Hamburg 1986.
Carl Georg Heise und Hildegard Heise (Hg.): Anita Rée – ein Gedenkbuch von ihren Freunden, Hamburg 1968.
Archiv Hamburger Kunst, Bruhns-Archiv mit mehreren Ordnern zu Anita Rée, Warburg- Haus, Hamburg.
Teilnachlässe Anita Rée und Carl Georg Heise im Archiv der Hamburger Kunsthalle.
Elsa Auguste Abendana Saenger, geb. Belmonte
Elsa Auguste Abendana Saenger, geb. Belmonte
geb. 15.08.1878 Hamburg
Tod 1944 in Auschwitz
Elsa Auguste Saenger, geb. Belmonte wurde am 15. August 1878 in Hamburg geboren. Am 23. November 1897 heiratete sie im Alter von 19 Jahren Julius Saenger. Er war Kaufmann und später Geschäftsführer der Handelsfirma SECO (Simon, Evers & Co. GmbH) in Hamburg, die 1873 gegründet wurde.
Im Jahre 1921 erwarb der Maler Korwan-Katzenstein (s. Stolperstein in Keitum und Westerland) im Auftrag des Ehepaars Saenger in Keitum ein altes Friesenhaus. Hierhin verzog das Ehepaar später, denn aufgrund finanzieller Probleme der Firma mussten Saengers ihr Wohnhaus in Hamburg verkaufen und in ihr Keitumer Sommerhaus ziehen. Das Ehepaar war mit dem Künstler und Landschaftsmaler Franz Korwan befreundet, der bereits 1890 nach Westerland gezogen war und später – ebenfalls aufgrund finanzieller Probleme – zu Saengers nach Keitum zog. Nach Julius Saengers Tod im Jahr 1929 lebten Elsa Saenger und Franz Korwan weiter gemeinsam in Keitum.
Elsa Saenger geb. Belmonte (1878–1944)
Aufgrund der Verschärfung antisemitischer Maßnahmen auf der Insel Sylt zogen beide im Frühjahr 1937 nach Wiesbaden. Vermutlich der Wunsch von Elsa Saenger, von Korwan existiert ein Brief, in dem zu lesen ist: „Falls Sie es nicht bereits durch Ihre Familie erfahren haben, teile ich Ihnen mit, daß Frau Saenger ihr Haus verkauft hat, und bereits am Donnerstag mit mir zusammen Keitum verlassen wird. (…) Ob ich bei ihr dann bleibe, ist noch fraglich, an sich zieht es mich, wie Sie begreifen werden, nach Sylt zurück (…). Ich gehe schweren Herzens von der Insel (..)“
Ein Jahr später zog Elsa Saenger gemeinsam mit Franz Korwan nach Baden-Baden und war fortan in der Werderstr. 5 gemeldet. Hier wurde sie bald im Zuge der „Leihhausaktion“ dazu verpflichtet, ihren Schmuck und Edelmetallbesitz gegen unzureichende Entschädigung beim Pfandleihhaus abzuliefern. Nachdem auch ihre Konten gesperrt worden waren, wurde sie am 22. Oktober 1940 gemeinsam mit Franz Korwan und weiteren 6.502 (bis 7.450, die Angaben differieren) Frauen und Männern kurzfristig über ihre unmittelbar bevorstehende Deportation informiert und aus Baden und der Pfalz über das Elsass in das südfranzösische Lager Gurs verbracht, das sie nach dreitägigem Transport erreichten.*
Diese auch als „Wagner-Bürckel-Aktion“ bezeichnete systematische Deportation stand in direktem Zusammenhang mit der Verschleppung von etwa 30.000 Elsässer:innen sowie 24.000 Lothringer:innen und fungierte auch als „Vorreiter“ für die ein Jahr später beginnenden Massendeportationen.
Am 20. Februar 1941 wurden Elsa Saenger und Franz Korwan in das Lager Noé weitertransportiert. Franz Korwan verstarb hier, der weitere Weg von Elsa Saenger lässt sich nicht sicher rekonstruieren. Über das Sammellager Drancy wurde sie zwischen 1941 und 1944 nach Auschwitz transportiert und dort ermordet. Offiziell wurde Elsa Saengers Tod auf den 31. Mai 1944 datiert. Im Gedenkbuch des Bundesarchivs finden sich widersprüchliche Sterbedaten (1941 und 1944). Auch auf den beiden Stolpersteinen, die für Elsa Saenger in Keitum auf Sylt sowie in Baden-Baden verlegt wurden, sind die Angaben nicht einheitlich. Auf dem Keitumer Stein steht „tot 1944 auf Transport nach Auschwitz“, auf dem Stein in Baden-Baden ist „1944 Auschwitz ermordet“ vermerkt. Als Ort ist Auschwitz jedoch bestätigt.
Text: Sina Sauer
* Vgl. Schriftliche Information Reinhard Heydrichs, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), aus dem Reichssicherheitshauptamt an das Auswärtige Amt vom 29. Oktober 1940, Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, R 100869
Sauer, Sina: Formalisierte Entschädigung. Gestaltung, Gebrauch und Wirkmacht von Formularen der nachkriegsdeutschen Finanzverwaltung im Fall Elsa Saenger 1948–1959, Dissertation an der Universität Hamburg, 2024
Wilhelm Ernst Witteborg
Wilhelm Ernst Witteborg
geb. 13.07.1906 Huckarde/Dortmund
Tod am 21.11.1941 Groß-Rosen
Ernst Wilhelm Witteborg wird am 13. Juli 1906 in der Nähe von Dortmund geboren und soll im Zuge der Deichbauarbeiten, die Mitte der 1930er Jahre auf Sylt beginnen, auf die Insel gekommen sein.
Er heiratet 1937 Jenny Jörgensen (sie ist eine Cousine von Erhard Jörgensen, siehe Stolperstein in Archsum auf Sylt) und wird Vater von einem Sohn und einer Tochter.
Im Jahre 1940 verstößt Hans Witteborg gegen die „Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung“ (vom 13. Februar 1939). Aus dem gesamten Reichsgebiet können nun Menschen zu Tätigkeiten gezwungen werden, um Personalengpässen entgegenzuwirken. Arbeitsämter vermitteln jetzt nicht mehr nur Arbeitslose, sondern „nach übergeordneten politischen Erfordernissen“ können diese dienstverpflichtet werden. Witteborg hat sich vermutlich geweigert.
Er muss sich am 4. Juni 1940 im Amtsgericht Westerland melden, der Oberstaatsanwalt ordnet eine dreimonatige Gefängnisstrafe an. Daraufhin wird Witteborg in das Untersuchungsgefängnis nach Flensburg gebracht. Drei Tage später liegt ein ärztliches Gutachten vor, aus dem hervorgeht, dass er zum Tüten kleben herangezogen werden darf. Vier Wochen später, am 4. Juli 1940, wird er nach Husum überführt.
Hier legt Witteborg gegen das Urteil Berufung ein und am 24. September entscheidet das Landgericht Flensburg, dass Witteborg sofort aus der Haft zu entlassen ist.
Im Januar 1941 ist Witteborg im KZ Sachsenhausen unter dem Vornamen „Friedrich“ registriert. Nach Angaben der Familie wurde er denunziert. Am 25. April 1941 gehörte er bereits zum Arbeitskommando Groß-Rosen und wurde offensichtlich übernommen, als es ein eigenständiges KZ wurde. Er ist im KZ Groß-Rosen als Schutzhäftling kategorisiert und gehörte damit zu der Gruppe von Inhaftierten von denen aus Sicht der Nationalsozialisten eine vermeintliche Gefahr für „Volk und Staat“ ausging.
Unter welchen Bedingungen Wilhelm Ernst Witteborg am 21. November 1941 in Groß Rosen stirbt, ist nicht bekannt.
Seine Urne, die unter dem Namen „Friedrich Wilh. Witteborg“ verzeichnet ist, wird am 10. Januar 1942 dem Keitumer Friedhof bestattet. Ihre Nummerierung wird im Zuge der späteren Wiedergutmachungsansprüche für die Familie, die keine Unterlagen vorweisen kann, eine entscheidende Rolle spielen.
Grabstein von Wilhelm Witteborg (1906–1941)
Arolsen Archives (https://arolsen-archives.org/)
Georg Alfred Zeffner
Georg Alfred Zeffner
geb. 04.06.1895 Keitum/Sylt
gest. 09.07.1941 Bernburg/Anhalt
Georg Alfred Zeffner entstammt der Bäckerfamilie Ernst Bernhard Zeffner und dessen Frau Carolina Borgina, geb. Lausten aus Keitum.
Als junger Mann fuhr Georg Zeffner zunächst zur See und war daher im Ersten Weltkrieg bei der Marine.
1921 heiratete er in Kiel Minna Auguste Luise Schwart, die junge Familie zog nach Altona. Hier wurde 1926 die Tochter Karla Elisabeth geboren (†1949).
Weiterhin verdiente Georg Zeffner als Seemann den Unterhalt für die Familie unterbrochen von langen Phasen der Arbeitlosigkeit.
Georg Alfred Zeffner (1895–1941)
In seiner Jugend vor dem 1. Weltkrieg hatte sich Georg Zeffner als Seemann mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt, die nie erfolgreich auskuriert werden konnte. In den zwanziger Jahren war er damit in Altona in Behandlung, doch die Spätfolgen sollten sich, wie oft in solchen Fällen, zu einem schweren Nervenleiden entwickeln, das letztendlich der stationären Aufnahme bedurfte.
1938 erleidet Georg Zeffner während einer Reise einen Verkehrsunfall und wird völlig verwirrt, räumlich und zeitlich desorientiert aufgegriffen und in der Heil- und Pflegeanstalt Merzig im Saarland aufgenommen. Unmittelbar an der Grenze zu Frankreich gelegen, wird die Heil- und Pflegeanstalt Merzig bei Kriegsbeginn geräumt. Georg Zeffner wird mit anderen Patienten, zunächst nach Scheuern, dann nach Haina in Hessen verlegt. Während zahlreiche Patienten aus dem Saarland von dort aus Opfer er Euthanasieverbrechen wurden, wird Georg Zeffner zurück nach Norddeutschland verlegt und am 7. Dezember 1939 in der Landesheilanstalt Neustadt in Holstein aufgenommen. Seinem dort von ihm als Teil der Anamnese verfasstem Lebenslauf sind die Informationen über seinen Werdegang zu entnehmen.
Zum Zeitpunkt der Verlegung gilt Georg Zeffner noch als arbeitsfähig, möglicherweise der Grund für seine zunächst erfolgte „Rückstellung“. Bereits im März 1940 verweist ein ärztliches Gutachten jedoch darauf, dass Georg Zeffner „vollinvalide“ sei und ihm keine Arbeit mehr zugemutet werden könne. Ihm werden wiederholt Zustände von Verwirrtheit und Desorientierung – verbunden mit Artikulierungsschwierigkeiten, bescheinigt. Die Behandlung und „Nachprüfung des Fortbestehens der Invalidität“ scheint kein Erfolg auf Besserung zu bringen. Die wenigen Aufzeichnungen der Krankengeschichte bescheinigen, dass Zeffner zunehmend „interesselos“ gewesen sein soll.
Als Psychiatriepatient in Neustadt wurde Georg Zeffner 1941 Opfer der nationalsozialistischen Euthanasieverbrechen. Bei den 1939 begonnenen und im Sommer 1941 in dieser Form beendeten Maßnahmen wurde per Meldebögen die Ermordung der einzelnen Patienten vorbereitet. Schleswig-Holstein erreichten die Meldebögen erst im Juni 1940. Für die damals etwa 1.400 Patienten und Patientinnen in Neustadt wurden fast 1.100 Meldebögen ausgefüllt, darunter einer für Georg Zeffner. Gutachter entschieden nach der angegebenen Diagnose und einer Einschätzung zur Arbeitsfähigkeit der Patienten und Patientinnen über Leben oder Tod. Für Georg Zeffner wurde der Tod beschlossen. Eine erste Zusammenstellung der zu ermordenden Patienten und Patientinnen erreichte im Mai 1941 Neustadt. 140 Patienten und Patientinnen wurden mit der Eisenbahn nach Bernburg/Saale in Anhalt gebracht und dort ermordet. Georg Zeffner war erst für den zweiten Transport am 13. Juni vorgesehen, der 97 Kranke umfasste. Diesmal war nicht Bernburg das direkte Ziel, sondern die braunschweigische Heil und Pflegeanstalt Königslutter, die als „Zwischenanstalt“ für die „Tötungsanstalt“ Bernburg fungierte. Hier wurden die Patienten und Patientinnen eine Zeitlang verwahrt, bis die Bernburger Kapazitäten die Ermordung ermöglichte. Am 9. Juli 1941 wurde Georg Zeffner mit 54 weiteren Männern und 27 Frauen, die ursprünglich aus Neustadt stammten von Königslutter in Bussen nach Bernburg gebracht und dort sofort in der Gaskammer ermordet. Anschließend wurden die Leichen verbrannt.
Aus Tarnungsgründen wurden den Angehörigen und der Verwaltung nicht nur fingierte Todesursachen, sondern auch falsche Todesdaten mitgeteilt. (Das hatte auch den Nebeneffekt, dass bis zum vermeintlichen Todesdatum vom Kostenträger der angebliche Krankenhausaufenthalt gezahlt wurde) Für Georg Zeffner wurde willkürlich der 25. Juli angegeben, der auch im Hinweis auf dem Geburtseintrages des Standesamtes erscheint. Da seine Angehörigen die Übersendung der Urne erbaten, wurde zusammenraffte Asche späterer Mordopfer in einer Urne nach Keitum gesandt und eine angebliche Einäscherung am 26. Juli behauptet. Die Beisetzung der Urne erfolgte am 21. August 1941 auf dem Keitumer Friedhof.
Text: Harald Jenner, Hamburg
Quelle: Bundesarchiv